Zwischen Tradition und Technik

Zwischen Tradition und Technik

Wo steht die deutsche Jagdkultur?

Von Joachim Orbach

Die deutsche Jagd ist tief verwurzelt in Geschichte und Brauchtum – ein Geflecht aus Verantwortung, Leidenschaft und Respekt vor der Natur. Doch zwischen Hightech-Wärmebildoptik, sozialem Druck und ökologischen Herausforderungen steht die Frage im Raum: Wie viel Kultur steckt heute noch in der Jagd – und wie viel ist längst zur bloßen Funktion geworden?

Jagd war einst ein Symbol von Haltung und Handwerk, von Stolz und Demut zugleich. Heute droht sie, zwischen Tradition und Moderne zerrieben zu werden. Während die einen in der Digitalisierung und Technik den Verlust jagdlicher Seele sehen, verstehen andere sie als notwendige Weiterentwicklung.

Was aber bedeutet „Jagdkultur“ im 21. Jahrhundert? Und wer trägt die Verantwortung, sie zu bewahren – die Verbände, die Medien oder jeder einzelne Jäger?

Um diese Fragen zu beleuchten, habe ich drei Fachleute um ihre Einschätzung gebeten:
die Wildbiologin Dr. Christine Miller, den Jagdethiker Dieter Stahmann und den Berufsjäger Wildmeister Dieter Bertram.

Ihnen stellte ich die Fragen:

  • Wie sehen Sie die Zukunft der deutschen Jagdkultur?
  • Welche Rolle sollten unsere Jagdverbände übernehmen?
  • Was können Jagdzeitungen und Medien beitragen?
  • Und sollte die Jagdkultur wieder ein fester Bestandteil der Jungjägerausbildung werden?

Meinung von Dr. Christine Miller

Erhalten kann man nur etwas, das noch lebt – wie in dem schönen Vergleich, dass Tradition – ebenso wie die Tradition des jagdkulturellen Erbes – nicht die Bewahrung der Asche bedeutet, sondern die Weitergabe einer brennenden Fackel.
Ob die Fackel der deutschen (oder österreichischen) Jagdkultur noch lodert oder ob wir nur noch einen leise verglimmenden Span sehen, vermag ich nicht zu beurteilen. Ein helles Licht strahlt von der Jagdkultur heute meiner Einschätzung nach jedoch nicht mehr aus.

Jagdkultur ergibt sich aus einer inneren Haltung zur Jagd und allen damit verbundenen Handlungen, zu den bejagten Wildtieren und der Natur, in der diese leben. Jagdverbände und Jagdvereinigungen sollten meiner Meinung nach verbindliche Standards formulieren, die diese Haltung widerspiegeln. Verstöße durch Mitglieder der Verbände ebenso wie durch alle jagdlich tätigen Personen sollten dokumentiert werden – und Verstöße gegen diese Standards müssen Konsequenzen haben, von der Anzeige bis zum Ausschluss eines Mitglieds.

Jagdzeitungen sind der Spiegel ihrer Leser. Sie schreiben über das, was die Käufer wissen und konsumieren wollen. Ich sehe für Jagdzeitungen nur insofern eine Verantwortung, als dass sie zumindest klare Grenzen für ihre Berichterstattung ziehen. Neben der Pflicht zur journalistischen Sorgfalt und der objektiven Darstellung von Sachverhalten sehe ich keine Möglichkeit, dass Jagdzeitungen (oder ihre modernen Varianten in den sozialen Medien) die Jäger in eine Richtung „erziehen“ können, die diese nicht selbst befürworten. Die Jäger haben die Zeitungen und Medien, die sie verdienen.

Solange der Begriff „Jagdkultur“ die innere Haltung des Jägers zu seinem Tun bedeutet und von den Ausbildern auch gelebt wird, ist diese Jagdkultur ein essentieller Bestandteil der Jungjägerausbildung.
Wenn die Leiter von Jagdschulen oder die Ausbilder tierschutzwidrige und jagdethisch fragwürdige Praktiken selbst anwenden – sei es auf Massen-Drückjagden, bei denen Wild gehetzt und der Muttertierschutz missachtet wird, sei es bei schrankenloser Jagd zur Nacht, am Kirrhaufen oder während der Schonzeit, sei es bei „sportlichen“ Weit- und Bewegtschüssen auf Schalenwild – dann brauchen sie auch keine Alibi-Stunden in Jagdethik in die Ausbildung einzubauen. Der einzig sinnvolle Unterricht in Jagdethik ist das konsequente Leben dieses Anspruchs.

Meinung von Dieter Stahmann

Die deutschen Jäger haben ein Problem mit ihrem Selbstverständnis – und deshalb kein klares Verhältnis zu ihrer Jagdkultur.
Die gängige Definition der Jagd in Deutschland ist die „(nachhaltige) Nutzung natürlicher Ressourcen“ (Präambel der Satzung des Deutschen Jagdverbandes). Der deutsche Jäger jagt heute aber nur sekundär wegen der Nutzung des Wildbrets; seine Motivation ist die Jagdleidenschaft.
Die Definition des DJV erscheint aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit allerdings günstiger. Aus denselben Gründen kam es auch zur Definition „Jagd ist angewandter Naturschutz“. Beides ist sachlich richtig, erklärt aber die Jagd allein aus naturwissenschaftlicher (ökologischer) Sicht und vernachlässigt die Jagd als menschliches Handeln – mit Jagdleidenschaft, dem Töten von Tieren und all seinen seelischen Bewegungen wie Anschauung, Naturkenntnis, Bewunderung, Moral, Freude usw. (Werteethik). Damit wird der Jagdkultur die Grundlage entzogen.
Das rein mechanistische Denken der Naturwissenschaft unterstützt das Wesen der Technik als sachliches Hilfsmittel und fördert damit ihre kritiklose Anwendung.

Die Jagdkultur wird nur dann nicht zu einer musealen Einrichtung werden, wenn die Jäger sich zu ihrer Jagdleidenschaft bekennen. Ein Weg dazu ist die „Teilhabe-Ethik“, in der die Freude eines Menschen an seiner Handlung positiv gesehen wird, sofern sie zur allgemeinen Wohlfahrt beiträgt und damit auch anderen nützt. Vorausgesetzt ist, dass der Jäger seine Verantwortung für die Natur aus seiner Geschichte versteht.
Diese Themen werden in meinem neuen Buch „Ethik für Jäger“ ausführlich behandelt.

Die Jagdphilosophie in Deutschland hat bisher ohne den DJV stattgefunden. Der Literaturpreis wurde typischerweise zugunsten eines Öffentlichkeitspreises abgeschafft. Neben den vielen ökologischen und biologischen Arbeitskreisen sollte es auch einen philosophischen geben – was sachlich und persönlich sehr schwer sein wird.
Die Öffentlichkeitsarbeit ist gut, aber sie sollte auch die höhere Ebene erreichen – etwa Redakteure und Kulturwissenschaftler. Dazu ist eine klare Stellung zur Motivation (Jagdleidenschaft) erforderlich.

Eine wenig erfreuliche Entwicklung ist seit mehreren Jahren bei den Jagdzeitungen (mit Ausnahmen) zu beobachten: Offensichtlich wurde ihre Marketing-Politik auf die soziologische Entwicklung der Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze, 1992) abgestimmt.
Ein Redakteur sagte mir dazu vor einiger Zeit: „Bitte keine Besinnungsaufsätze mehr!“ Der Text ist heute ganz auf die Jagd als Erlebnisprojekt abgestellt, denn wenn man teure Anzeigen für Waffen oder Optik einwerben will, muss man auch entsprechende Geschichten anbieten. Das gilt entsprechend für Jagdreisen und Jagdmessen. Die Verleger sind Geschäftsleute – und wenn die seelisch-kulturelle Richtung nicht aktuell wird, bleibt sie uninteressant.

Was nicht geprüft wird, wird auch nicht gelernt und ist für die Prüflinge Zeitverschwendung. Eine mündliche Diskussion über Ursprung, Definition, Motivation, Ethik und Jagdliteratur wäre erfreulich, wenn eine gute Darstellung (vom DJV!) geschaffen wird und fähige Prüfer und Referenten vorhanden sind.
Man kann allerdings wegen Mangels an Philosophie keinen Prüfling durchfallen lassen.

Meinung von Wildmeister Dieter Bertram

Neben punktuellen Bemühungen zum Erhalt der Jagdkultur ist diese weitgehend abhandengekommen.
Aussagen des Gründers des „Forums lebendige Jagdkultur“, Prof. Dr. Dr. Dieter Voth:
„Im deutschen Sprachraum scheint Jagdkultur – anders als früher – aus dem gesamtkulturellen Interessenfeld seit Jahrzehnten ausgegrenzt zu sein.“

Hunderte Hubertusmessen allein können der Jagdkultur nicht dienen. Durch die Stagnation der großen jagdlichen Organisationen in Bezug auf die kulturelle Weiterentwicklung ergeben sich für das Forum lebendige Jagdkultur, den Steinfelder Kreis und befreundete Organisationen wichtige Aufgaben für die Zukunft.

Den Jagdverbänden mit einer großartigen Geschichte sind seit geraumer Zeit die Persönlichkeiten und Inhalte abhandengekommen. Als Berufsjäger war der Unterzeichner das Aushängeschild der Jagdverbände in nahezu allen Ausschüssen – vom Hegering bis zur Bundesebene.
Fehlentwicklungen der Verbände für Wild, Jagd und Jäger über Jahrzehnte nicht zu erkennen oder anzusprechen, grenzte an „Majestätsbeleidigung“. Feindbilder konnten gegen Kritiker geschaffen werden. Lediglich der Bayerische Jagdverband hat als Ausnahme dem Unterzeichner hohe Wertschätzung entgegengebracht – verbunden mit einer Einladung zu einem mehrstündigen Gespräch mit dem Präsidenten und der Geschäftsstelle.

Trotz punktueller guter Arbeit im Zusammenhang mit Jagdkultur (Beispiel Österreich) ist die Jagd zu technischem Töten verkommen. Alle Warnungen wurden überhört – auch auf die Gefahr hin, dass der Verlust von Jagdkultur den Verlust gesellschaftlicher Legitimation des Jagens bedeutet.
An den Jagdverbänden und ihrer Arbeit wird in der Jagdpresse zunehmend Kritik geübt.

Es müsste eine Runderneuerung der jagdlichen Organisationen geben – für Jagdkultur, für das Lebensrecht und die Lebensqualität der Wildtiere.
Als das Land um die Jagd 1948 am Boden lag, schrieb der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Prof. Dr. Hans Krieg, in einer Hubertusrede:
„Jäger-Weckruf – jede Nachdenklichkeit kann Werte und Normen beflügeln.“
Der Titel seiner Rede „An uns selbst“ hat nichts an Gültigkeit verloren.

Jagdzeitungen und -literatur hatten in der Vergangenheit großen Einfluss auf die Jagdkultur und auf den Jäger.
Als „Kriegskind“ und in Ermangelung von Kinderbüchern haben mich Jagdzeitungen und Jagdbücher als Jugendlicher begleitet und geprägt. Mein umfangreiches Archiv alter Jagdzeitungen ist ein wertvolles Dokument dieser Zeit.
Neuere Jagdzeitungen sind oft der verlängerte Arm der Jagdindustrie. Ältere Jäger haben sich von dieser Werbung für technische Aufrüstung abgewandt. Junge Jäger glauben, sich im Internet ausreichend „informieren“ zu können – eine gefährliche Entwicklung, auch für die Jagdzeitungen.
Konkurrenz zur allgemeinen Jagdpresse, die zunehmend kritisch mit den Jagdverbänden umgeht, könnte eine günstige Entwicklung bedeuten.
Außer Bläsertreffen und Hubertusmessen – die teilweise unter Polizeischutz stehen müssen (auch die DJV-Hauptversammlung 2025 in Köln) – bieten die meisten Jagdverbände keinen Platz zum Erhalt der Jagdkultur. Zahllose Anschreiben und Gesprächsangebote an die Präsidenten der Jagdverbände blieben ausnahmslos unbeantwortet.

In den „Jungen Jägern“, mit denen die „Alten Jäger“ nicht unbegründet kritisch umgehen, liegt die Zukunft der Jagd. Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben, die nachwachsenden Jägergenerationen für das zu gewinnen, was die Natur, die Jagdkultur und die anspruchsvolle Jagd zu bieten haben.
Charakter und Gesinnung können in einer Jägerprüfung nicht geprüft werden.
Es ist müßig, hunderte Beispiele aufzuführen, in denen der nachwachsenden Jägergeneration die Jagdkultur – insbesondere bei Schnellkursen – abhandengekommen ist oder nie vorhanden war. Das sogenannte „jagdpraktische Jahr“ wurde ersatzlos gestrichen, ohne Besseres anzubieten.

Für die Zukunft der Jagd ist es bedeutungslos, wenn eine ältere Generation Jagd und Jäger nicht mehr versteht – aber es ist nicht bedeutungslos, wenn die Gesellschaft den Jäger nicht mehr versteht und ihm die Gefolgschaft verweigert.
Die in Vergessenheit geratene Jagdkultur könnte zu einer tragenden Säule werden, wenn sie – neben V° und E100, neben seelenloser Tötungstechnik – wieder Werte und Normen zurückgewinnen würde. Dazu zählen Geschichte, bedeutende Literatur und Malerei.
Das jagdpraktische Jahr ist für eine zukunftsorientierte Jagd unausweichlich.

Die Zukunft benötigt waidgerechte Jäger, keine bloßen Jagdscheininhaber.
Mit sofortiger Wirkung sollte Jagdkultur als Unterrichts- und Prüfungsfach vermittelt werden.
Die Jägersprache wurde als Prüfungsfach abgeschafft.
Wo kommt der Jäger her, wo geht er hin?
Freudige Nachricht eines Jungjägers: „Ich habe bereits drei Böcke umgenietet.“

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